Filed under: Beziehung, Empowerment, Forschung, Gesundheit / Krankheit, Psyche, Resilienz, Uncategorized | Schlagwörter: Frauen, Gesundheit, Hilfe, Männer, Netz, soziale Netzwerke, Soziale Unterstützung, Verlässlichkeit
Netzwerke schrumpfen in Krisenzeiten
Forschungen haben gezeigt, dass die sozialen Netze rissig werden und sogar auseinander reißen, wenn ein Mensch erkrankt. Aber warum? Psychologen suchen nach Erklärungen für dieses Phänomen und vermuten, dass ein Grund dafür sein könnte, dass Personen eines Netzwerkes sich grundsätzlich ähneln. Daher könnte die Erkrankung eines Mitgliedes eine große Bedrohung für den Rest darstellen. – Dies führt dazu, dass die Lebensphilosophie der Gruppe durch die Krankheit infrage gestellt wird; das „unähnlich“ gewordene Mitglied wird also kurzerhand aus dem Netzwerk ausgeschlossen. Andere Erklärungsmodelle für dieses Phänomen sprechen von Berührungsängsten oder sich nicht zuständig fühlen. Beobachtet wurde auch der Rückzug aus Angst vor Ansteckung im Falle mancher Krankheiten.
Größe und Verlässlichkeit eines sozialen Netzwerks beeinflussen den Gesundheitszustand
Die Münchner Soziologin Martina Eller untersuchte die sozialen Beziehungen von rund 1000 Diabetikern und stellte fest: Die Sozialkontakte verringern sich, wenn jemand krank wird und je kleiner das soziale Netz wird, desto schlechter ist der Gesundheitszustand eines Diabetikers. Eller fand weiters heraus, dass man zwar aufgrund des Alters und des Geschlechts keine Vorhersage auf den Gesundheitszustand machen kann, sehr wohl jedoch aufgrund der Größe und Verlässlichkeit des sozialen Netzwerks: Wer ein großes soziales Netz hat, ist vier bzw. acht Jahre später in einem besseren Gesundheitszustand als jene Personen, die von Beginn an ein kleines soziales Netzwerk hatten.
Zahlreiche Studien untermauern die Erkenntnis, dass soziale Isolation das Gesundheitsrisiko steigert: Personen, die sich sozial unterstützt fühlen, leben gesünder, zufriedener und länger; im Gegensatz dazu sind einsame Menschen einem höheren Krankheits- und Sterberisiko ausgesetzt, so die Quintessenz der bisherigen Forschungen.
Die unauffällige Unterstützung als bessere Hilfe
Die Psychologin Beate Dietzen von der Universität Zürich gilt als Expertin für biopsychologische Netzwerkforschung. Sie betont, dass hilfsbedürftige Menschen sich nicht abhängig fühlen möchten und es für sie lediglich wichtig ist, dass jeman da ist und dass ihnen Hilfe nicht aufgedrängt wird. – Ein Zuviel an Unterstützung kann sogar in einer Lose-Lose-Situation münden: Der Helfer fühlt sich überfordert und der Hilfsbedürftige schuldig.
Der Glaube an ein soziales Netz setzt positive Kräfte frei
Entscheidend ist laut Psychologen nicht, wie viel einem Menschen tatsächlich geholfen wird, sondern die Überzeugung, im Notfall auf sein Netzwerk bauen zu können. Die Hilfsbereitschaft des Netzes wird jedoch von zwei Gruppen häufig überschätzt: von Menschen mit einem hohen Selbstbewusstsein sowie von Personen, die bisher noch keine Notsituation erleiden mussten.
Hinterfragen erwünscht: Sinngewinn durch Skepsis
Der Psychologe Neil Krause führte mehreren Längsschnittstudien durch und fand dabei heraus, dass ein kritisches Nachfragen von Netzwerkmitgliedern bzw. ein Widersprechen zumindest älteren Menschen dabei hilft, einen tiferen Sinn in ihrem Leben zu erkennen. Damit ein Netzwerk also tatsächlich praktische Lebenshilfe leisten kann, sollte es sich nicht nur aus Ja-Sagern zusammensetzen: Zwar ist gutes Zureden wichtig, ein skeptisches Nachfragen erwies sich jedoch als noch wichtiger.
Soziale Netze schützen vor Stress
Menschen, die sozial unterstützt werden, produzieren einerseits weniger Kortisol im Körper, als Menschen die nicht unterstützt werden, und schütten andererseits vermehrt das Hormon Oxytocin aus. Letzteres führt zu einem hohen Einfühlungsvermögen und einer niedrigen Aggressivität und wird zum Beispiel während einer Schwangerschaft verstärkt produziert. Psychologen fanden heraus: Wer viel Oxytocin im Körper hat und zugleich sozial unterstützt wird, reagiert besonders gelassen auf Stress.
Bei Aidskranken zeigte sich jedoch auch ein negativer Zusammenhang zwischen dem Grad der Unterstützung und dem Gesundheitszustand. Eine mögliche Erklärung dafür: Es kostet viel Kraft, ein Netzwerk zu unterhalten und zu pflegen – Kraft, die Aidskranke nicht haben. Daher kann die Beziehungspflege mitunter auch zur Last werden.
Männer unterstützen instrumentell, Frauen emotional
Forschungen zeigten auch, dass Männer von sozialen Netzwerken stärker profitieren als Frauen. Warum? Männer unterstützen, indem sie Ratschläge geben oder Informationen einholen, Frauen hören zu und bringen ihre Wertschätzung zum Ausdruck. Die Annahme lautet, dass Männer zwar unterstützen wollen, ihre Äußerungen von Frauen jedoch eher als Forderung oder Ermahung wahrgenommen werden. Die Ratschläge der Männer bewirken in der Folge eher, dass Frauen sich unter Druck gesetzt fühlen. Anders bei Frauen: Die Forschungen der Psychologen Larua M. Glynn und Nicholas Christenfeld der University of California ergaben, dass nur die weibliche Unterstützung die Stressreaktionen von Studienteilnehmern verringern konnte. Es ist demnach jeder gut beraten, Frauen in seinem Netzwerk zu haben!
Die Kardinalfrage: Unterstützen, aber wie?
Am meisten scheinen Menschen von einer kritisch-wohlwollenden Begleitung zu profitieren, es kann jedoch kein Rezept gegeben werden, welche Art von Unterstützung positiv wirkt und welche nicht. Alles hängt letztendlich davon ab, was der Hilfsbedürftige wünscht und will.
Oft muss der Helfer gar nichts tun – es reicht, da zu sein: Soziale Unterstützer sind dann besonders erfolgreich, wenn sie fast nichts tun, nur ab und zu unsere Hand berühren und unser Handeln nicht bewerten. Dementsprechend gehören auch Haustiere in unser soziales Netzwerk und können durchaus heilsam wirken.
Quelle:
Westerhoff, Nikolas: Geborgenheit oder Einengung: Wie wichtig sind soziale Netze?, Psychologie Heute, Juni 2008, S. 21-25
Filed under: Essstörungen, Psyche, Psychotherapie, Uncategorized | Schlagwörter: Adipositas, Kontrolle, Prognose, Psychodynamik, Scham, Sucht, Therapie, Verleugnung, Ziele
Letzte Woche besuchte ich ein Seminar über Psychotherapie und Adipositas: Referent war der Arzt und Psychotherapeut Dr. Eberhard Wilke der Curtius Klinik für Psychosomatische Medizin in Bad Malente-Gremsmühlen.
Adipositastherapie – aber wie?
Dr. Wilke erklärte, dass eine Gruppentherapie bei Adipositas mehr Erfolg verspricht als eine Einzeltherapie – auch reicht es nicht, das Problem von einer rein psychotherapeutischen Seite anzugehen – es braucht einen ganzheitlichen Therapieansatz, sprich Interventionen auf Ernährungs-, Bewegungs-, Wahrnehmungs- und psychodynamischer Ebene. Aus diesem Grund sind Kooperationen unerlässlich, damit es zu einem Erfolg kommen kann.
Das Ziel einer Adipositastherapie ist es, die Motivation zur Veränderung zu stärken. Das Gewicht kann dabei nur langsam und langfristig reduziert werden, weshalb eine begleitende Therapie sich optimalerweise über 2 Jahre erstreckt. Laut Wilke ist es notwendig, die Patient/innen sogar davor zu schützen, zu viel abzunehmen, da es sonst zu drastischen Rückfällen und zum bekannten Jojo-Effekt kommen kann. So empfiehlt er 0,5 kg/Woche und weist darauf hin, dass der Körper dazu tendiert, das Gewicht, das er einmal hat, nicht mehr hergeben zu wollen – es gibt demnach einen internen Setpoint, der gewichtsmäßig nach oben korrigiert wird.
Übergewicht – der Ursprung
Übergewicht kann viele Ursachen haben, wobei sich u.a. herausstellte, dass die Adipositasdynamik mit jener von Schmerzpatient/innen verglichen werden kann: Wenn die Erkrankung fortgeschritten ist, dann entsteht laut Wilke häufig eine „Eigendynamik“. Die Dynamik erinnert jedoch auch an jene von Suchterkrankten: häufig werden äußere Faktoren für das Essverhalten und die Gewichtszunahme verantwortlich gemacht. Im Vergleich zu anderen Suchtpatient/innen haben Adipöse jedoch einen entscheidenden Nachteil: Sie müssen lernen, mit der Substanz zu leben, denn ohne Essen kein Leben. Ohne Alkohol, Tabletten, Internet, Sex.. kann man hingegen sehr wohl leben.
Fressattacke: Wie die Dominosteine fallen…
Es entsteht eine negative Kaskade, die durch einen Essanfall ausgelöst wird:
Essanfall – Erleben eigener Insuffizienz – Depressive Stimmung – Resignation – Selbstaufgabe – Essanfall
Häufige Psychodynamik: Scham, Verleugnung und Fehleinschätzung
Nachvollziehbar scheint mir auch die starke Schambesetzung des Themas: Aufgrund der Kontrollverluste kommt es zu Schamaffekten, die wiederum in ein Verleugnungssystem münden. In letzteres steigt häufig das gesamte Umfeld ein – so auch die behandelnden Therapeut/innen. Auch sind Fehleinschätzungen des eigenen Gewichts typisch. Wilke zitierte eine deutsche Studie (Strauß 2002), derzufolge
- 35 % der Schülerinnen (13 % der Schüler) im Alter zwischen 15 und 17 Jahren subklinische Essstörungen haben,
- 33 % sind untergewichtig, wobei sich nur 6 % so einschätzen;
- 42 % der 15- bis 17-jährigen Schüler/innen sich selbst als übergewichtig wahrnehmen (tatsächlich sind es 8 %) und
- 20 % aller 7-11-Jährigen bereits Diäterfahrungen haben.
Psychodynamisch könnte man jedoch sagen, dass ein emotionaler Hunger mit Nahrung beantwortet wird und die Nahrungsaufnahme dafür verwendet wird, die Affekte zu regulieren. Dementsprechend sind auch Beziehungen überwiegend oral determiniert und Konflikte werden durch beständige Nahrungsaufnahme und Inaktivität gewissermaßen süchtig abgewehrt. Betroffene haben große Angst vor dem psychischen Verhungern.
Psychische Befunde einer Adipositas:
- Angst vor Enttäuschung und Zurückweisung
- ausgeprägte Versorgungswünsche
- Aggressionsgehemmtheit
- Bereitschaft zur Anpassung und zur Zurückstellung der eigenen Bedürfnisse
- anklammerndes oder kontaktvermeidendes Verhalten
- Trennungsangst
- Fortdauernde Sehnsucht nach einem versogenden mütterlichen Objekt (süchtige Beziehungsstruktur)
- versiegende Sexualität
- große Einsamkeit
Ziele eine Adipositastherapie:
- Stärkung der Eigenverantwortung
- Entwicklung eines positiven Selbstbildes
- Verminderung von rigiden Kontrollen und Ersetzen durch flexible Kontrollen
- Verbesserung der emotionalen Ausdrucksfähigkeit
- Verbesserung körperlicher Ausdruchsfähigkeit (Gestik)
- Verbesserung der sozialen Kompetenzen in Beruf, Familie und Partnerschaft
Der Weg hinaus…
Dr. Wilke erzählte, dass Patient/innen immer wieder den Impuls verspüren, ihr Glück „vorne“ zu suchen – „wenn sie abgenommen haben, können sie glücklich sein.“ Wilke erzählt, dass er seine Patient/innen dann immer korrigiert und meint: „Das Glück liegt nicht vorne, es liegt ganz weit hinten: Eine Adipositastherapie ist vergleichbar wie rückwärts langsam aus der Einbahnstraße zu fahren.“
Ein erster wichtiger Schritt ist, ehrlich damit umzugehen, dass man von etwas abhängig ist – in diesem Fall vom Essen. Betroffene lernen in einer Therapie auch, mehrere Mahlzeiten täglich zu essen, damit kein Hungergefühl entstehen kann. Andere Methoden beinhalten die Analyse des eigenen Essverhaltens (wie schnell wird gegessen, wird erkannt, wann Hunger, wann Sättigung da ist?), das Führen eines Esstagebuchs, die Verwendung von kleinen Tellern, kleinen Bestecken etc. Auch die Einbindung der Familie ist ein wichtiger Faktor, der die Chance einer günstigen Prognose erhöht.
Eine günstige Prognose für eine Adipositastherapie ergibt sich bei
- hohem Leidensdruck unter dem dysfunktionalen Essverhalten und dem Übergewicht
- einem gravierenden Aktualkonflikt
- intakter beruflicher und psychosozialer Einbindung
- höherer intellektueller Begabung und Bildung
- besserer sozialer Position
- geringer psychischer und körperlicher Co-Morbidität
- einem eingrenzbaren Beginn der Übergewicht-Entwicklung
- einem prämorbid bestehendn Normalgewicht
- klarer Veränderungsbereitschaft.
Fazit: Mühsam, aber wichtig
Es ist ein langer Weg aus der Adipositas – wobei nicht nur die Betroffenen, sondern auch das gesamte Umfeld zwischendurch unter Gefühlen der Ohnmacht, Hoffnungslosigkeit und Perspektivlosigkeit leidet, welche sich mit Ungeduld, Ärgerlichkeit und Unzufriedenheit abwechseln. Dennoch zahlt es sich aus, das Gewicht zu stabilisieren (gilt bereits als Erfolg!) oder weiter Gewicht zu verlieren, denn mit jedem nicht zugenommenen oder verlorenen Kilo erhöht sich die Lebenserwartung der Betroffenen.